Eines Tages wurde meiner Oma schwindelig, und der Arzt, der mit dem Rettungsdienst kam, wollte kein Risiko eingehen und brachte die alte Dame ins Krankenhaus. Dort erklärte man ihr ausführlich, dass es in ihrem Alter einfach unangemessen sei, noch vergnügt mit ihren betagten Freundinnen von Theater zu Theater zu hüpfen. Der Tod sei nichtfern, und man solle ihm gebührend begegnen – im eigenen Bett, nicht bei einer Pokerrunde bei einer Freundin.
Sterben wollte Oma allerdings mit Bedacht und Stil. Zuerst kaufte sie eine ganze Apotheke voller Medikamente und dekorierte damit ihren Nachttisch. Sofort breitete sich der beißende Geruch von Baldrianparfüm in der Luft aus.
Zweitens setzte sie die ganze Familie unter Druck, damit wir, unter Opferung unserer Zeit und Nerven, ihr beim feierlichen Sterbeprozess halfen. Sie war launisch, verlangte neue Medikamente, mal einen Arzt, mal einen Notar. Meine Mutter rackerte sich ab, um alle ihre Launen zu erfüllen und sie irgendwie davon zu überzeugen, dass es noch zu früh zum Sterben sei. Oma rollte nur die Augen und bat um ein paar Tropfen mehr Baldrian.
Doch eines Tages tauchte Omas alte Freundin Helga auf. Zum Glück war ich gerade bei ihr zu Hause und durfte das Spektakel mit eigenen Augen beobachten.
„Man sagt, du hast endlich beschlossen zu sterben“, fragte sie mit rauchiger Stimme, „lobenswert. Jemand muss ja den ersten Schritt ins Jenseits machen und alles auskundschaften. Aber sag mir ehrlich – willst du wirklich in so einem schrecklichen Zustand im Sarg liegen?“
Oma murmelte etwas von „egal, wie sie aussähe“.
„Dir vielleicht egal“, konterte Helga, „aber ich muss diesen Anblick ertragen! Und nicht nur das – ich muss dich auch anständig abschmatzen! Was sollen die Leute denken? Die glauben, sie kommen zu einer anständigen Beerdigung, und dann werden sie hintergangen. Ich könnte ihnen nicht in die Augen schauen!“
„Was gehen mich die Leute an?“, rief Oma empört.
„Weil sie denken, dass sie Helgas Freundin beerdigen, und Helga verkehrt nicht mit irgendwelchen Leuten. Aber wenn sie dich sehen, glauben sie, man hat ihnen eine falsche Leiche untergejubelt! ÜbrigAußerdem, warum brauchst du so viele Medikamente – willst du dich etwa mit dem Zeug vergiften?
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